In großen Umbrüchen oder Erneuerungen ist es oft nötig, alte Regeln zu übertreten und bestehende Errungenschaften fallen zu lassen, selbst wenn diese als große Kunst gelten. Schauen wir uns in der Musikgeschichte einmal an, was beim Umbruch von der Barockzeit zur Romantik passierte. * Zur groben Einordnung: Johann Sebastian Bach stirbt 1750 und 1756 wird Wolfgang Amadeus Mozart geboren. Das wichtigste Schlagwort jener Zeit des Umbruchs heißt „Empfindsamkeit“. Der große Bach-Sohn Carl Philipp Emanuel Bach schreibt 1753 über den „Wechsel der Leidenschaften“.
Um diesen „Wechsel“ innerhalb eines Stückes zu erreichen war es nötig fast alle Werte des so genannten „strengen Satzes“ über Bord zu werfen. So erklingen in Kompositionen der Barockzeit manchmal 20 gleichberechtigte Stimmen. Doch innerhalb eines Satzes konnte stets nur ein „Affekt“ – also der Ausdruck einer einzigen Empfindung dargestellt werden. Die Komponisten des empfindsamen Stils werfen nun diese Kunst der ineinander verschlungen Melodien über Bord. Die große Kunst des strengen Satzes wird aufgegeben zu Gunsten einer leicht wahrnehmbaren Melodiestimme. Man sucht nach der „edlen Einfalt“ und entwirft große Formen mit symmetrischem Aufbau. Der Verzicht auf die Kunst der Fuge eröffnet Möglichkeiten der viel dynamischeren Gestaltung. Hatte ein musikalischer Satz in der Barockzeit eine durchgehende Lautstärkestufe, so kann sich das Klangbild nun durch den gezielten Einsatz von Crescendo und Decrescendo total verändern. Weiter wird die Dramatik sogar noch gesteigert durch eine Verlangsamung der Harmoniewechsel. Geschieht der Akkordwechsel in einem Bach-Präludium noch sehr schnell und häufig, geht ein Mozart damit viel sparsamer um. In der Beschreibung erscheint uns das zunächst als Vereinfachung oder Verarmung, im gehörten Ergebnis dagegen wird in der romantischen Musik der Harmoniewechsel zum „Ereignis“. Die schnelle Tempostufe Presto wird geboren und die Flexibilität des Rhythmus wird als neues Ausdrucksmittel genutzt. Nun konnten innerhalb eines Stückes alle beliebigen Stimmungen dargestellt werden und in der empfindsamen Einfachheit den von Carl Philip Immanuel Bach geforderten „Wechsel der Leidenschaften“ einlösen. Hier entstand ein Zündstoff, der ungeahnte Energien freisetzen sollte.

* Den Begriff der so genannten Klassik übergehe ich hier einmal da es sich dabei eher um einen Wertbegriff als um eine Zeitspanne handelt.
DMZ